Von Ann-Kristin Achleitner und Thomas Lange
Startups und ihre Gründer stehen für die Erneuerung der Wirtschaft und des Wettbewerbs. Mit ihnen verbindet sich die Hoffnung auf technologische Durchbrüche. Wie steht es aber um die Gründungsdynamik in Deutschland?
Die Befundlage ist ernüchternd. Der Global Entrepreneurship Monitor zeigt: Die Gründungsaktivität in Deutschland hat zuletzt zwar leicht zugenommen, liegt im internationalen Vergleich aber seit Jahren weit zurück. Von neuer Gründerzeit kann keine Rede sein.
Nun könnte man einwenden, dass solche Ländervergleiche wenig aussagekräftig sind: Deutschland unterscheide sich von vielen anderen Ländern eben dadurch, dass man hierzulande mehr Technikkonzerne habe. Sie bieten jungen Menschen eine attraktive Alternative zur Unternehmensgründung. Außerdem komme es letztlich nicht auf die Anzahl von Gründungen an, sondern auf die „richtigen“ Unternehmen. Und dass sie „erfolgreich“ sind. Genau vor diesem Hintergrund allerdings sind die folgenden zwei Befunde besorgniserregend.
Auch wenn sich in den letzten Jahren Einiges getan hat, sind deutsche Startups – relativ gesehen – immer noch wenig innovationsorientiert (Rang 35 von 54 im internationalen Vergleich). Das ist wenig schmeichelhaft für ein Hightech-Land. Die deutschen Vorzeige-Startups sind B2C-Handelsplattformen wie der Schuhversandhändler Zalando, die Lieferservice-Plattform Delivery Hero oder der Online-Gebrauchtwagenhändler Auto1. Was aber ist mit wissensintensiven Startups, die technologiegetriebene Innovationen hervorbringen?
Die größten Chancen der Digitalisierung liegen aus deutscher Sicht im Umfeld des starken industriellen Kerns und im B2B-Bereich – Stichwort Industrie 4.0. Die Zukunft gehört intelligenten Lösungen rund um das Internet der Daten, Dienste und Dinge sowie Anwendungen der Künstlichen Intelligenz in den Branchen Automobil, Maschinenbau, Chemie und Gesundheit.
Vor allem aber: Deutsche Startups wachsen in aller Regel nicht zu großen Unternehmen heran, die viele Arbeitsplätze schaffen und eine hohe Wertschöpfung erzielen. Lange Zeit galt das 1972 gegründete Software-Unternehmen SAP als letztes in dieser Hinsicht erfolgreiche deutsches Startup. Immerhin ist mit dem Technologie- und Finanzdienstleister Wirecard in diesem Jahr ein mit 19 Jahren noch vergleichsweise junges Unternehmen in den DAX eingezogen.
Die Politik hat das Problem erkannt. Sie schöpft aber bei Weitem nicht alle Potentiale aus, die Rahmenbedingungen insbesondere für Hightech-Gründungen zu verbessern. Damit meinen wir vor allem hoch innovative Unternehmen, die technologiebasiert sind und exponentiell wachsen. Wir sehen sieben Ansatzpunkte, wie sie die Gründungsdynamik stärken könnte:
Erstens: In Deutschland gibt es zu wenig Wagniskapital – laut Startup-Branche fehlen rund 60 Milliarden Euro. Der Staat kann und sollte diese Lücke nicht allein mit Steuergeldern schließen. Er könnte aber zum Beispiel mehr privates Geld für die Gründungsfinanzierung mobilisieren, indem er die Restriktionen lockert, denen Versicherungs- und Pensionsfonds bei der Kapitalanlage unterliegen. Kapitalsammelstellen sollten wie in den USA einen höheren Teil ihres Kapitals in Wagniskapital investieren dürfen. Der Bundesverband Deutscher Startups schlägt in diesem Zusammenhang einen „Zukunftsfonds Deutschland“ vor. In dieser Konstruktion kann Kapital der Sammelstellen genutzt werden, da der Staat einen gewissen Teil des Ausfallrisikos übernimmt und der vorgesehene Dachfonds breit in verschiedene Arten von Risikokapital- und Mittelstandsfonds investiert. Er fördert damit sowohl Innovationen in jungen als auch etablierten Mittelstands-Unternehmen.
Mehr Kapital ist insbesondere für die Wachstumsphase von Unternehmen erforderlich. In Deutschland bricht die Finanzierungskette nach der Gründungsfinanzierung schnell ab: Schon Finanzierungsrunden mit einem Kapitalbedarf ab einem höheren einstelligen Millionenbetrag sind hierzulade oft ein Problem. Wachstumsstarke Unternehmen brauchen in späten Phasen dagegen teils 50 Millionen Euro und mehr. Vor allem, wenn sie an die Börse gehen wollen. Eine Größenordnung, die sie in Europa kaum bekommen. Ein bekannter deutscher Tech-Unternehmer schilderte uns seine Geschichte so: Er brauchte für sein Wachstum zehn Millionen US-Dollar, die er zunächst nirgends geboten bekam. Ein Angebot über sechs Millionen aus Frankreich habe er ausgeschlagen: „Wenn Sie zehn Millionen brauchen und sechs Millionen geboten bekommen, dann verhungern Sie auf dem Weg.“ Seine Finanzierung hat er schließlich aus den USA erhalten. Laut Hendrik Brandis, Mitgründer des Wagniskapitalgebers Earlybird, ist dies kein Einzelfall. Er kommt in einer aktuellen Venture-Capital-Studie zu Wort. Demnach gäbe es viele Beispiele deutscher Unternehmen, die links und rechts überholt wurden, weil das Geld fehlte – und das, obwohl sie besser gewesen seien als ihre amerikanischen Konkurrenten.
In jedem Fall sollten Investoren einen längeren Atem haben – sowohl staatliche als auch private. Wirklich wissens- und technologieintensive Unternehmen brauchen in der Regel mehr Zeit bis zur Marktreife. Investoren drängen dagegen auf (zu) frühe Erfolge. Mit Investitionen nach dem Motto „lieber der Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach“ wird Deutschland aber nicht zum Hightech-Gründer-Champion.
Zweitens: Der deutsche Markt für Unternehmensverkäufe muss offen für ausländisches Kapital bleiben. Verkäufe an ausländische Investoren zu erschweren oder sogar zu verhindern, schadet der Gründungsdynamik. Denn Wagniskapitalgeber werden nicht in junge Unternehmen investieren, wenn sie fürchten, ihre Anteile zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr verkaufen zu können. Ein Unternehmensverkauf ist in Deutschland im Vergleich zum Börsengang aber immer noch der bevorzugte Exit-Kanal für frühe Investoren. Die Regierung sollte ihre Haltung gegenüber Investoren aus Nicht-EU-Ländern auch vor diesem Hintergrund noch einmal überdenken.
Drittens: Hochschulen müssen auch als Treibhaus für Hightech-Gründungen gesehen werden – in Kooperation mit der Wirtschaft. Die UnternehmerTUM GmbH der Technischen Universität München ist bislang eines der wenigen erfolgreichen größeren Gründungszentren in Deutschland. Dieses Erfolgsmodell sollte Schule machen auch in anderen Bundesländern. Nordrhein-Westfalen hat sich in dieser Richtung bereits auf den Weg gemacht.
Viertens: Regionale Innovations-Ökosysteme sind ein guter Nährboden für Hightech-Gründungen. Sie vernetzen Startups, etablierte Unternehmen, wissenschaftliche Einrichtungen und Kapitalgeber im Umfeld vielversprechender Zukunftstechnologien und üben eine hohe Anziehungskraft aus – auf Kapital und Talente. Nicht nur Großunternehmen sind mit ihren Innovations- und Venture-Capital-Einheiten hier besonders anschlussfähig. Gerade auch mittelständische Unternehmen bekommen so eine gute Gelegenheit, sich noch stärker den jungen Wilden zuzuwenden. Die Zusammenarbeit mit Startups kann für sie wie eine Frischzellenkur wirken. Umgekehrt berichten uns Startups, dass sie gerade Familienunternehmer als Partner besonders schätzen. Sie hätten nicht nur Geld, sondern vor allem auch Mut und eine hohe Kompetenz, technisch anspruchsvolle Geschäftsmodelle zu bewerten. Diese Synergien haben Zukunft. Eine erfolgreiche staatliche Fördermaßnahme in diesem Zusammenhang war der Spitzencluster-Wettbewerb. Die Bundesregierung sollte die Initiative fortsetzen und auf weitere Regionen und Zukunftsthemen ausweiten.
Fünftens: Der Bund sollte Militärausgaben stärker mit Blick auf zivile Spillover-Effekte tätigen und sie als Katalysator für Innovationen nutzen. Investitionen in Cyber-Sicherheit wären vor diesem Hintergrund effektiver als ein neuer Fuhrpark. Ein Teil des Erfolgs der amerikanischen und der israelischen Startup-Szene gründet auf diesem Zusammenspiel. Das im Jahr 2004 gegründete US-Unternehmen Palantir ist beispielsweise mit Big-Data-Lösungen zur Terrorabwehr groß geworden. Heute verkauft es seine Dienstleistungen weltweit auch breit an zivile Kunden – und zählt zu den wertvollsten „Einhörnern“ weltweit, also Startups, deren Unternehmenswert eine Milliarde US-Dollar übersteigt.
Sechstens: Die Regierung sollte noch sichtbarer Initiative und Ambition zeigen für den Hightech-Standort Deutschland – allen voran die Kanzlerin. Wir sollten mehr Anstrengungen unternehmen, deutsche Tech-Genies aus dem Ausland zurückzuholen und zu halten: Wissenschaftler wie den KI-Pabst Jürgen Schmidhuber oder erfolgreiche Unternehmer wie Sebastian Thrun zum Beispiel. Auch die Ansiedlung der Europa-Zentralen und von Entwicklungszentren innovativer Unternehmen aus den USA und Asien sollte auf die Agenda. Großunternehmen wie IBM, Microsoft und Huawei unterhalten in Deutschland bereits nennenswerte Forschungsaktivitäten. Aber haben wir auch die Plattformunternehmen und die nächste Generation schnell wachsender Technologieführer auf dem Radar? Frankreichs Präsident Macron macht es vor. Ihm ist es gelungen, unter anderem Facebooks Entwicklungszentrum für Künstliche Intelligenz oder Ubers Zukunftslabor für Flugtaxis öffentlichkeitswirksam nach Frankreich zu holen. Solche Engagements haben Signalwirkung.
Politik und Wirtschaft sollten die Standortvorteile Deutschlands für Gründer noch selbstbewusster vermarkten. Dazu gehören die gute Infrastruktur, geringe Mieten und Gehälter sowie eine hohe Loyalität der Mitarbeiter – zumindest im Vergleich zum Silicon Valley. Und die Nähe zu großen Industriekunden, die gerade für Innovationen rund um Industrie 4.0 eine große Rolle spielt.
Siebtens: Die beste Zukunftsinvestition ist immer noch die Investition in Köpfe. Talente mit einer exzellenten Ausbildung vor allem in den sogenannten MINT-Fächern sind potentielle Hightech-Gründer. Wir brauchen in Deutschland nicht nur mehr Fachkräfte in diesem Bereich. Wir brauchen auch eine neue Qualität der MINT-Bildung und der digitalen Bildung – sowohl in der Breite als auch in der Spitze. Die Bundesregierung muss in diesem Feld deutlich mehr Ambition zeigen, damit Deutschland international konkurrenzfähig bleibt.
Wir brauchen mehr herausragende wissen- und technologieintensive Startups, die mit ihren Innovationen die digitale Transformation antreiben. Es gibt vielversprechende junge Unternehmen in Deutschland. Unternehmen wie das Münchner Software-Startup Celonis, dessen Wert kürzlich die magische Grenze von einer Milliarde US-Dollar übersprungen hat. Oder das Unternehmen Relayr, das Lösungen für das Internet der Dinge entwickelt und vom Rückversicherer Munich Re gekauft wurde. Sie machen Mut, dass wir in Deutschland durchaus das Zeug zum Hightech-Gründerland haben. Machen wir mehr daraus!
Dieser Beitrag ist am 14. Januar 2019 zuerst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.
Prof. Dr. Dr. Ann Kristin Achleitner ist Inhaberin des Lehrstuhls für Entrepreneurial Finance an der TU München, Mitglied des Präsidiums von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und Aufsichtsrätin mehrerer DAX-Konzerne.
Dr. Thomas Lange ist Diplom-Volkswirt. Er leitet den Themenschwerpunkt Volkswirtschaft, Bildung und Arbeit bei acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften.