Warum Politikberatung Unabhängigkeit braucht

Am kommenden Mittwoch veröffentlichen die fünf Wirtschaftsweisen ihr Jahresgutachten. Mit der gleichen Regelmäßigkeit, in der die Politik über den Rat der fünf Ökonominnen und Ökonomen hinwegsieht, steht auch der Sachverständigenrat in der Kritik: Welchen Erfolg – oder „Impact“ – können Politikberater sich schon zugutehalten, deren Empfehlungen nicht umgesetzt werden?

Kritiker fordern seit längerem eine Reform des Rats. Ihnen schwebt oft das amerikanische Modell vor: Das Council of Economic Advisers ist direkt im Weißen Haus angesiedelt. Seine Mitglieder werden vom Präsidenten berufen und sind eng in die Regierungsarbeit eingebunden. Entsprechend hoch ist der politische Einfluss, den man ihnen unterstellt.

Aber zu welchem Preis?

Anders als sein amerikanisches Pendant ist der deutsche Sachverständigenrat ein unabhängiges Beratungsgremium. Weder die Mitglieder des Rats noch des wissenschaftlichen Stabs gehören der öffentlichen Verwaltung an. Die Bundesregierung hat gegenüber den fünf Weisen keine Weisungsbefugnis. Gleiches gilt auch für die nationalen Wissenschaftsakademien in Deutschland.

Diese Unabhängigkeit stellt einen Wert an sich dar.

Zwar mag die operative Umsetzung politischer Vorhaben – kurzfristig gesehen – besser gelingen, wenn Berater die Regierung eng begleiten. Wenn es aber um langfristige Weichenstellungen und die großen gesellschaftlichen Herausforderungen geht, brauchen Berater eine größere Distanz zur Tagespolitik.

Dafür sprechen drei Gründe:

Erstens: Die Beratung darf sich nicht von vornherein auf kurzfristige politische Ziele verengen. Ansonsten schließt sie womöglich zukünftige Handlungsoptionen vorschnell aus, die für nachhaltiges Handeln wichtig sind. Als Beispiel eignet sich die Energiewende: Ihr „Planungshorizont“ beträgt fast 40 Jahre und reicht damit weit über eine Legislaturperiode hinaus.

Zweitens: Zumindest die öffentlich finanzierte, wissenschaftsbasierte Politikberatung ist der gesamten Bevölkerung gegenüber verpflichtet – nicht allein der Regierung: Gesellschaftlicher Dialog und Partizipation können nur gelingen, wenn wissenschaftliche Expertise auch allen Interessierten gleichermaßen zur Verfügung steht. Unabhängige und gemeinwohlorientierte Beratungsgremien dienen als wichtige Quelle und vertrauenswürdiger Referenzpunkt – auch als Gegengewicht zu Interessengruppen, die gesellschaftliche Debatten oft lautstark dominieren.

Drittens erzeugt die Wissenschaft „objektives“ Wissen erst im Wettstreit von Erkenntnissen. Je größer die Unabhängigkeit der Beratungsinstitutionen und je größer die Unabhängigkeit seiner Mitglieder, desto eher können auch Politik und Gesellschaft von den Früchten dieses Wettstreits profitieren.

Gute Politikberatung lässt sich also nicht allein am unmittelbaren Impact messen. Wie aber kann sie ihre Wirksamkeit steigern, auch ohne ihre Unabhängigkeit aufzugeben? Der Schlüssel liegt in guter Kommunikation.

Die Berater müssen ihre Ergebnisse vernehmbar und auf verständliche Weise in den öffentlichen Diskurs einbringen. Je besser dies gelingt, desto eher können sie indirekt auch Politik beeinflussen. Die umfangreichen Gutachten des Sachverständigenrats dürften zwar in ihrer ganzen Länge kaum ein großes Publikum erreichen. Das müssen sie aber auch nicht. Die Qualität der Gutachten hat sich in den vergangenen Jahren insofern deutlich verbessert, als prägnante und auch für ökonomische Laien gut lesbare Zusammenfassungen die fachlichen Ausführungen flankieren. Sie erleichtern vor allem auch die mediale Verarbeitung der wichtigsten Botschaften.

Entscheidend für den Kommunikationserfolg von Politikberatern ist zudem die öffentliche Bühne. Inhalte gewinnen über vertrauenswürdige Köpfe Reichweite und Glaubwürdigkeit – sei es in Talkshow-Runden oder sozialen Medien.

Die wissenschaftsbasierte Politikberatung hat großes Potential, einen Beitrag zur Lösung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu leisten. Wir sollten ihre Unabhängigkeit wertschätzen und ihr im öffentlichen Diskurs noch mehr Gehör verschaffen.


Diesen Beitrag habe ich am 04. November 2019 zuerst auf LinkedIn veröffentlicht.